Rückblick

Forschung am Puls der Zeit: Auf dem 25. Stuttgarter Kunststoffkolloquium 2017 wurden die aktuellen Forschungsergebnisse des Instituts für Kunststofftechnik und weiterer Institute der Universität Stuttgart vorgestellt. Im Vordergrund standen Werkstoff-, Produktions- und Energieeffizienz sowie der Kunststoffleichtbau und das Thema Industrie 4.0.

Knapp 350 Teilnehmer begrüßte Professor Christian Bonten zum 25. Stuttgarter Kunststoffkolloquium am 22. und 23. März 2017 anlässlich dessen silbernen Jubiläums. Den Zuhörern wurden bereits im Plenarvortrag durch Herrn Christoph Bauernfeind, Porsche-Entwicklungschef Karrosserieentwicklung GT-Fahrzeuge, die Bedeutsamkeit der Faserkunststoffverbunden für den modernen Leichtbau anschaulich nahegelegt und eine Reise durch die erfolgreiche Entwicklungshistorie des schwäbischen Automobilkonzerns geboten. Anschließend wurden in drei Sälen parallel zahlreiche aktuelle Ergebnisse und Trends der Kunststofftechnik präsentiert. Während der eine Saal das Thema Leichtbau fortführte, widmeten sich die anderen beiden der Forschung am Werkstoff sowie am Prozess.

Zum 25. Mal luden das Instititut für Kunststofftechnik und weitere Institute der Universität Stuttgart zum Stuttgarter Kunststoffkolloquium

Ein wichtiger Schwerpunkt der Leichtbau-Session stellte die zerstörungsfreie Prüfung am IKT dar. Der immer bedeutsamere Einsatz von harzbasierten Faser-Matrix-Werkstoffen in der Luftfahrt und im Automobilbereich erfordert Prüfverfahren, mit denen nicht sichtbare Bauteilfehler oder -schäden zuverlässig erkannt werden können. Eine praxisnahe und automatisierbare Lösung hierfür wurde in Form der robotergestützten, dreidimensionalen Untersuchung mit Luftultraschall vorgestellt. Die weitreichenden Möglichkeiten dieses Prüfverfahrens konnten in mehreren Vorträgen anschaulich dargestellt werden. Daneben widmeten sich weitere Vorträge auch den Möglichkeiten der ultraschallbasierten Thermographie und weiteren zerstörungsfreien Prüfverfahren.
Da die zunehmende Verbreitung von Faserverbundkunststoffen auch neue Herausforderungen an die stoffliche Wiederverwertung stellt, sind auch hier neue Lösungskonzepte und innovative Verfahren für das Recycling von FKV-Bauteilen erforderlich. Entsprechende aktuelle Forschungsarbeiten stellte das IKT in Kooperation mit dem Institut für Flugzeugbau (IFB) und dem Institut für Textil- und Verfahrenstechnik (ITV) Denkendorf vor. Bei dem verfolgten Ansatz werden rezyklierte Fasern auf schonende Weise zu quasi-endlosen Hybridgarnen aufbereitet und damit hergestellte Preforms hinterspritzt. Auf diese Weise gelingt ein guter Erhalt der mechanischen Eigenschaften trotz der Verwendung von Recycling-Fasern.
Daneben stellten die Institute für Flugzeugbau (IFB), für Textilchemie- und Chemiefasern (ITCF), für Textiltechnik, faserbasierte Werkstoffe und Textilmaschinenbau (ITFT) neue Verfahren und Ansätze zur Fertigung und Verbesserung von Faserkunststoffverbunden vor, beispielsweise zur Verarbeitung von Hybridfasern, der Untersuchung der Faser-Matrix-Haftung und der Verwendung von in-situ-polymerisierbaren Matrixsystemen sowie Möglichkeiten zur simulativen Vorhersage der resultierenden Bauteileigenschaften.

Christoph Bauernfeind führte durch die traditionsreiche Historie und aktuelle Aktivitäten der Porsche AG im Bereich des Leichtbaus

Der Themenblock zur Forschung an Maschine und Verfahren begann mit mehreren Vorträgen im Bereich der Einschneckenextrusion und insbesondere den Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung durch neue Ansätze in der Simulation. So wurden die Herausforderungen durch stetig steigende Durchsatzanforde-rungen thematisiert und welche Einflussfaktoren hierdurch in der Simulation neu berücksichtigt werden müssen. Daneben widmeten sich weitere Vorträge der optimierten Werkzeugauslegung sowie insbesondere der anspruchsvollen Simulation vollständig genuteter Plastifizierzonen, welche am IKT bereits seit vielen Jahren erforscht werden. Darüberhinaus wurde auch das in der Praxis seit langer Zeit immer wieder aktuelle Problem effizienter Farb- und Werkstoffwechsel aufgegriffen und Untersuchungen zum Einfluss unterschiedlicher Extrusionssysteme sowie der jeweiligen Prozessparameter vorgestellt, anhand derer sich Strategien zur Produktivitätssteigerung ableiten lassen.
Im Anschluss wurden innovative Verfahren zur In-Line-Messung von Wanddicken direkt im Thermoformprozess präsentiert, welche eine Prozess- und Qualitätskontrolle direkt im Werkzeug ermöglichen. Des Weiteren wurden Untersuchungen zur Thermoformbarkeit wärmeleitfähiger und somit hochgefüllter Halbzeuge vorgestellt. Die Wärmeleitfähigkeit von Bauteilen war nachfolgend auch Thema eines Vortrags zum Einfluss der Spritzgießparameter und der Werkzeugtechnik auf die erzielbaren Eigenschaften. Hier wurde unter anderem ein spezielles Werkzeugkonzept mit Öffnungsbewegung vorgestellt, dass eine Reduktion der Füllstoffmenge zur Erzielung der erforderlichen Wärmeleitfähigkeiten erlaubt. Ein weiteres neuartiges Werkzeugkonzept mit integrierter Messsensorik, welche eine Schmelzecharakterisierung direkt im Prozess gestattet, wurde ebenfalls vorgestellt.
Die dritte Session widmete sich den werkstofflichen Aspekten der Kunststofftechnik. Hier wurden unter anderem die Modifikation von Polyamiden und deren Blends zur gezielten Verbesserung der bruchmechanischen Eigenschaften aber auch deren Beständigkeit vorgestellt. So konnte durch einen speziellen am IKT entwickelten Versuchsstand der Einfluss von Kühlmitteln auf glasfaserverstärkte Polyamide sowie die auftretenden Wechselwirkungen zwischen Polymer, Faser und Medieneinfluss untersucht werden. Zwei weitere Vorträge widmeten sich der gezielten Eigenschaftseinstellung von Polyamid6 bzw. Rezyklat von Gusspolyamiden im Doppelschneckenextruder mittels reaktiver Extrusion.
Die zweite Werkstoffgruppe, deren Eigenschaftsverbesserung intensiv beleuchtet wurde, war die der Biokunststoffe. Die vorgestellten Ergebnisse zeigten neue Wege auf, den neben PLA vielleicht bedeutsamsten biobasierten und -abbaubaren Kunst-stoff PHB schlagzäh zu modifizieren und somit für neue Anwendungsfelder einsetzbar zu machen. Des Weiteren wurde vorgestellt, inwiefern Strukturschäume aus PLA durch entsprechende Werkstoffaufbereitung ermöglicht werden.
Diese und viele weitere Vorträge, darunter auch von Vertretern der Institute für Konstruktion und Fertigung in der Feinwerktechnik (IKFF), für chemische Verfahrenstechnik (ICVT), für Materialprüfung, Werkstoffkunde und Festigkeitslehre (IMWF) und für Mikrointegration (IMF) sowie der Materialprüfanstalt (MPA), boten den Gästen vielschichtige Einblicke in die ganze Breite der kunststofftechnischen Tätigkeiten an der Universität Stuttgart.

Der erste Tag der Konferenz schloss anschließend mit einer Podiumsdiskussion, in der Dr. Herold (B. Braun), Herr Beiermeister (BOSCH), Dr. Möllenstädt (GKV), Prof. Hopmann (IKV) und Herr Kühmann (VDMA) die Bedeutung der Digitalisierung für die Kunststoffbranche erörterten. Neben den vielfältigen Chancen der Industrie 4.0 in Sachen Automatisierbarkeit, intelligente Produktion und Effizienz wurden aber auch die damit einhergehenden Risiken der Datensicherheit, vor allem für mittelständische Unternehmen, kritisch diskutiert.

Teilnehmer der Podiumsdiskussion v.l.n.r.: Prof. Christian Bonten (IKT), Dr. Andreas Herold (B.Braun), Hr. Bernd Beiermeister (BOSCH), Dr. Oliver Möllenstädt (GKV), Prof.Christian Hopmann (IKV) und Hr. Thorsten Kühmann (VDMA)

Ein zweiter Plenarvortrag, der vor allem soziologische und psychologische Aspekte zum Thema Kunststoffe und deren Öffentlichkeitswahrnehmung beleuchtete, erwartete die Tagungsbesucher zudem am zweiten Tag. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Ortwin Renn, ehemaliger Leiter des Lehrstuhls Technik- und Umweltsoziologie an der Universität Stuttgart und seit 2016 Direktor des Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies, legte anschaulich dar, inwiefern die öffentliche Risikowahrnehmung sich zunehmend auf, nach wissenschaftlichen Kriterien in Wahrheit wenig bedrohliche, Themen wie beispielsweise die Gefahr durch chemische Inhaltsstoffe in Nahrung fokussiert und sich dabei zunehmend von der Faktenlage entfernt. Als Wege aus dieser Problematik benannte er dabei vor allem das Schaffen und Nutzen kommunikativer Plattformen für den Wissensaustausch und den (Wieder-)Aufbau von gesamtgesellschaftlichem Vertrauen in Fachleute.

Prof. Ortwin Renn sprach am zweiten Veranstaltungstag über zunehmende irrationale Ängste der Bevölkerung gegenüber Chemie und Kunststoffen und wie diesen zu begegnen sei

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